Wednesday 18 April 2018
Bielefeld (WB). »Das gehört ein bisschen zu Bartok«, kommentierte Lucas Jussen leicht verlegen den Riss einer Saite beim letzten Konzert der Reihe »Neue Namen«. Recht hat er, auch wenn nicht alle schnellen Sätze des ungarischen Komponisten mit »Allegro barbaro« überschrieben sind. Aber den temperamentvollen Sätzen dürfen junge, temperamentvolle Pianisten durchaus gelegentlich einen Schuss Ruppigkeit verpassen, wenn sie im Gegenzug einem »sostenuto« die entspannende Atmosphäre verleihen, die einen gewissen Ausgleich schafft. Lucas Jussen interpretierte die urwüchsige Suite für Klavier op. 14, Sz 62 mit ihren kontrastierenden Sätzen in diesem Sinne, wobei das hintergründige und recht wilde Scherzo bzw. Allegro molto die Hauptakzente setzten. In der Sonate Sz 80, die mit ihren hämmernden Schlägen und stampfenden Rhythmen sogar das bekannte »Allegro barbaro« übertrifft, »muss sich das Klavier eine grausame Erniedrigung zum Schlaginstrument gefallen lassen«, wie Walter Georgii es formuliert. Lucas Jussen blieb dem Werk nichts schuldig. Arthur Jussen hatte sich im ersten Teil des Abends mit den Fantasiestücken op. 12 von Robert Schumann eine ganz andere Aufgabe gestellt. Hier mangelt es zwar auch nicht an Sätzen mit Bezeichnungen wie »äußerst lebhaft« oder »mit Leidenschaft«, häufiger jedoch heißt es »sehr innig zu spielen« oder »mit Humor«. Auch ohne ein Programmblatt, das die poetischen Titel verrät, wurde der Zuhörer durch Arthur Jussens Gestaltungskraft von den Charakteren der einzelnen Sätze so gefangen genommen, dass mitunter knisternde Spannung herrschte. So gesehen ergänzen sich die Brüder hervorragend. Jeder scheint jedoch auch die Rolle des anderen übernehmen zu können, wie die Wiedergabe der vierhändigen Stücke zeigte, die jeden Teil des Abends einrahmten. Schon das op. 94 von Felix Mendelssohn Bartholdy, »Andante und Allegro Brillante« für vier Hände, verblüffte mit einem unglaublich perfekten Zusammenspiel und einem Wechselspiel, das nicht den geringsten Bruch zwischen Part eins und Part zwei erkennen ließ. Im Divertimento für Klavier zu vier Händen von Leon Smit kam noch die traumhafte Sicherheit bei der Ausführung rhythmischer Finessen dazu. Franz Schuberts Fantasie in f-Moll für Klavier zu vier Händen, kurz vor den späten, nachgelassenen Sonaten geschrieben, würden wir gern in einigen Jahren von den Brüdern Jussen wieder hören, wenn sich das Gespür für das weltentrückte Thema und die Kraft für die Zurückhaltung bei den eingeschobenen dramatischen Episoden noch stärker entwickelt haben. Die traumatische Erfahrung einer Nacht, die Fazil Say mit seinem Stück »Night« für Klavier zu vier Händen speziell für die Brüder geschrieben hat, kann man sich nicht eindringlicher und beängstigender vorstellen. Die durch Anschlag oder mit den Fingern gezupft hervorgebrachten Klänge und Geräusche hatten so viel Gespenstisches, dass anfangs der Mut zu klatschen fehlte. »Nach so viel Krach kann man eigentlich nur eins spielen – Bach«, so Lucas Jussen. Die Brüder beglückten das Publikum mit einer vierhändigen Transkription aus der Kantate »Gottes Zeit ist die beste Zeit«. Weil der rasende Beifall aber gar kein Ende nehmen wollte, ließen sie sich – außerplanmäßig – zu einer weiteren Zugabe nötigen.
Armin Kansteiner Bielefeld (WB)